'Innovationslabor Berlin': die Zukünfte aus der Vergangenheit
Sébastien Vannier

[ Werk eingereicht im März 2016. Verlag Ateliers Henry Dougier. MAPPE Collection. Redaktionelle Koordination: Laure Flavigny. Kartografie: Aurélie Boissière ]
Das Projekt „Laboratoire d'Innovations“ (Innovationslabor) entstand aus der Zusammenarbeit zwischen dem Verleger Henry Dougier und dem Autor Sébastien Vannier, Journalist und Leiter der Kommunikationsabteilung des Centre Marc Bloch. Das Projekt ist Teil der von Henry Dougier konzipierten MAPPE-Reihe, die „gefaltete Bücher entwickelt, die die geopolitischen Umbrüche der Welt kartografisch in Szene setzen“. „Innovationslabor“ vereint also eine Reihe von Artikeln, Reportagen und Interviews über die zukünftigen Entwicklungen der deutschen Hauptstadt mit einer eigens entworfenen riesigen Karte, die ebenfalls versucht, ein „Berlin 2030“ zu illustrieren und es ermöglicht, die in den Artikeln erwähnten Akteure und Orte zu lokalisieren.

Das Projekt wurde 2015 durchgeführt und 2016 veröffentlicht, zu einem Zeitpunkt, als die deutsche Hauptstadt besonders im Fokus der europäischen Medien stand. Noch wild genug, um neue Innovationsströme zuzulassen, aber bereits entwickelt genug, um über die weitreichenden Möglichkeiten der wirtschaftlichen Rendite futuristischer Großbaustellen nachzudenken. Aus dem kurzen Abstand von sieben Jahren ist es bereits sehr interessant festzustellen, welche der damaligen Projekte letztendlich verwirklicht wurden – oder eben nicht. Während beispielsweise der Flughafen Tegel nun doch geschlossen wurde, lässt die erhoffte Entwicklung eines neuen Smart Cities Clusters auf dieser großen Fläche auf sich warten. Andere Faktoren wie das wachsende Bewusstsein für die Klimakrise haben jedoch die Dringlichkeit anderer Themen, die in diesem Buch angesprochen werden, beschleunigt: E-Mobilität, nachhaltige Architektur oder städtische Landwirtschaft.

Tonaufnahme: Interview mit dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, Michael Müller, vom 16. Dezember 2015, Rotes Rathaus Berlin
Partie 1
Interview
Michael Müller

Transkript

Michael Müller: "Arm aber sexy", so wie Sie sagen, beschreibt, glaube ich, sehr treffend eine bestimmte Phase, eine bestimmte Periode, jetzt in den letzten 25 Jahren, wo wir nach der Wiedervereinigung erst mal den Anschluss finden mussten an europäische Metropolen wie Paris oder London oder Rom. Und ich glaube, dieser Anschluss ist gefunden. Deswegen stimmt diese Überschrift "Arm aber sexy" so nicht mehr, die diese besondere Situation beschrieben hat. Wir sind jetzt doch, glaube ich, angekommen, erwachsen geworden und angekommen in dem Konzert der europäischen Hauptstädte. Und auch was das Selbstbewusstsein anbelangt. Wir sind nicht angeberisch, aber selbstbewusst: die deutsche Hauptstadt, und nehmen diesen Auftrag auch an, Hauptstadt zu sein, was eben in Paris über Jahrhunderte gelernt ist, selbstbewusst damit umzugehen. Das war ja für uns eine neue Situation, nach dem Krieg und Teilung und Wiedervereinigung. Und daraus jetzt auch wirtschaftlich mehr zu machen, den Anspruch zu haben, führend zu sein bei Entwicklungen in der Wissenschaft, in der Technologie, das geht damit einher. Also insofern, glaube ich, ist es wirklich eine neue Phase.


Partie 2
Interview
Michael Müller

Transkript


Michael Müller: Es würde mich schon sehr freuen, wenn wir uns das auch erhalten können in der wachsenden Stadt, was wir jetzt haben. Wir wachsen pro Jahr um 40.000 Menschen und das heißt ja, dass wir dieses Bevölkerungswachstum auch dann bewältigen können, wenn wir Flächen nutzen, die wir noch haben. Insofern ist es eine Gratwanderung, die Infrastruktur zu schaffen für immer mehr Menschen und gleichzeitig das grüne Berlin erhalten. Trotzdem es gibt neue Parks, die angelegt werden: Tempelhof, die große Freifläche, die erhalten bleibt in der Mitte. Wir werden weiterhin den öffentlichen Nahverkehr ausbauen. Wir haben vor, deutlich mehr zu machen im Bereich des Radverkehrs. Es soll Rad-Schnellstraßen geben, es soll Fahrrad-Parkhäuser geben. Wir wollen den Verkehrsanteil des Fahrrads am öffentlichen Verkehr, nicht ÖPNV, sondern am Verkehr insgesamt in der Stadt in Richtung 25 % steigern. Im Moment sind wir unter 20 %. So, also da... Elektromobilität... Das Spannende, glaube ich, wird in Zukunft sein, die unterschiedlichen Verkehrsangebote zu vernetzen und individuell passend zu machen. Für Ihr Angebot heute das Richtige zur Verfügung zu stellen, und morgen brauchen Sie was ganz anderes und das dann auch zu haben. So die, die das versuchen wir verkehrspolitisch gerade zu organisieren, eben auch wieder mit der Gründer- und Start-up-Szene.
Partie 3
Interview
Michael Müller

Transkript

Michael Müller : In der Innenstadt direkt gibt es ja auch schon Maßnahmen, die wir ergreifen, um nicht bei Paris zu landen, zum Beispiel durch eigene Baumaßnahmen: eben nicht zuzugucken, wie nur Private in der Innenstadt bauen, sondern ganz bewusst kommunale Gesellschaften, städtische Gesellschaften bauen lassen in der Stadt, um auch ein Gegengewicht zu haben, also ein kostengünstiges Angebot. Hier direkt gegenüber vom Roten Rathaus, den städtischen Wohnungsbaugesellschaften, die viel günstiger Wohnungen anbieten als private. Diese Mischung ist uns selbst in Mitte, selbst hier am Alex sehr wichtig. Insgesamt wird es auch da eine normale europäische Entwicklung geben. Es wird auch – was ja schon stattgefunden hat nach der Wende – es wird auch in den nächsten Jahrzehnten so sein, dass manche Menschen vor der Stadt wohnen, weil sie da ihr Haus haben, ihr Grünes haben, sich anders, auch kostengünstiger entfalten können, mit weniger Geld bauen können. Das wird so sein. Und trotzdem glaube ich nicht, dass es diese Situation gibt: Berlin für einige wenige, die sich das leisten können und viele andere müssen vor der Stadt wohnen, weil wir eben durch unsere Bezirksstruktur so Vielfalt, so viel, so vielfältig sind und so viele Entfaltungsmöglichkeiten haben, auch noch, was die Flächen anbelangt, dass auch die Berlinerinnen und Berliner weiter in den nächsten zehn Jahren in Berlin Wohn- und Arbeitsraum finden werden. Es wird vielleicht nicht mehr für jeden möglich sein in Mitte oder in Friedrichshain, in Kreuzberg, aber es ist dann möglich in Tempelhof oder in Reinickendorf und das sind hochattraktive Innenstadt-Bezirke, in der die komplette Infrastruktur ist. Das unterscheidet uns dann eben auch. Wir haben in Reinickendorf auch Krankenhäuser, Schulen, Grün, ganz viel Mobilität, alles: Kultur, alles ist da! Auch in einem Bezirk, der nicht direkt in der Mitte der Stadt liegt.

Sébastien Vannier: Und zu der Frage: Wo sind sie geografisch, die Schwerpunkte der Zukunft?

Michael Müller: Ich glaube jetzt schon… was wir sehen: es gibt eine ganz starke Bewegung in Richtung Lichtenberg. Auch Marzahn, Hellersdorf und Lichtenberg sind jetzt gerade in diesen Jahren ganz attraktive Bezirke, in die viele Menschen auch drängen, gerade die in Mitte und Friedrichshain, Kreuzberg auch Probleme haben, das entsprechende Angebot zu bekommen. Sie gehen gerne auch einen Schritt weiter nach Lichtenberg und kriegen da die Möglichkeit, auch noch mal Wohnungen zu finden oder eben auch Kita und Schulplätze und alles was dazugehört. Es wird mit Sicherheit dazugehören in Zukunft. Dann das Umfeld des Flughafens Tegel, der ja irgendwann anders genutzt wird, als Technologiestandort und Wohnstandort. Da sollen ja auch 5000 Wohnungen entstehen. Und ich persönlich habe ja immer noch die Prognose, das sehen nicht alle so, dass sich Buch noch sehr attraktiv entwickeln wird, dieser Ortsteil von Pankow. Ich glaube, dass das völlig unterschätzt ist. Es ist weit draußen, das stimmt, aber es ist Berlin und es ist sehr grün und es gibt inzwischen ganz viele Wissenschafts- und Gesundheitseinrichtungen da, Krankenhäuser. Ich glaube, das wird sich noch sehr entwickeln. Wir müssen garantiert auch noch ein besseres Verkehrsangebot machen, aber ich glaube: Buch wird unterschätzt.