Das Negativ eines Geisterorts
Pascal Charles Schneider

Beteiligte: Passanten in der Gertrud-Kolmar-Straße, Dilara Hadroviç (Kartographie), Marion Picker

Die Geschichte Berlins bringt Herausforderungen mit sich, denen Historiker auch mit sprachlicher Präzision, Nüchternheit und Zurückhaltung nicht immer beikommen können. So führt z.B. das Dokumentationszentrum „Topographie des Terrors“ in Gestalt des „Terrors“ die affektive Gewalt im Namen, die sich in Gebäuden und Gebäuderesten objektiviert. Etwa 400m weiter nördlich der „Topographie des Terrors“ findet tagtäglich ein soziologisches Experiment statt, allerdings mit minimalen institutionellen Rahmenbedingungen. Am Ort des ehemaligen Bunkers der Reichskanzlei (von welchem unterirdisch noch meterdicke Betonplatten existieren) steht eine schlichte Schautafel, die jedoch genau wie die offiziell ausgewiesenen touristischen Orte ein Publikumsmagnet ist – auch wenn es eigentlich, abgesehen von der Schautafel selbst, nichts mehr zu sehen gibt. Man befindet sich vor einem wenig gepflegten Privatparkplatz unweit des Denkmals für die ermordeten Juden Europas. Trotzdem zieht der Ort Touristen und Neugierige, Reisegruppen und Individuen an, die auf Nachfrage unterschiedliche und zum Teil ambivalente Gründe für ihr Interesse angeben. An dieser Konfiguration von historischem Wissen und Unsichtbarkeit interessiert mich vor allem, dass sie ein Negativbild des Themas meiner Dissertation ist, die jedoch nicht Berlin zum Thema hat: Die lokalen Kader der NSDAP in den dem Dritten Reich angegliederten Gebieten: die Ortsgruppenleiter des Elsass und der Sudeten (1938 - 1945). Denn obwohl es in fast allen elsässischen Orten noch das Wohnhaus gibt, in dem der örtliche NSDAP-Funktionär lebte, sind die Stimmen verstummt und die Geschichte wurde zunächst verschwiegen, um dann mit der Zeit unweigerlich in Vergessenheit zu geraten. So werden Orte der Macht, insbesondere in den annektierten Gebieten, zunächst von der betroffenen Generation und dann von der gesamten Bevölkerung vergessen, auch wenn die Gebäude – oft noch von Nachkommen der lokalen Kader bewohnt – sichtbar sind.
Vorher
Nachher
Interview 1

Transkription

Pascal: Gut. Okay.

Befragter: Ähm. Ich weiß, wo ich bin, ich bin am Bunker von Hitler. Ähm, ich bin hier mit meinem Vater und meiner Freundin...

Pascal: Woher kommen Sie?

Befragter: Kolumbien. Ähm, und wir sind in Berlin, weil wir uns für die Stadt interessieren. Und mein Vater weiß viel über den Zweiten Weltkrieg und er erklärt uns ein bisschen was über die Stadt und die Geschichte der Stadt.
Pascal: Kennen Sie andere Orte, Geheimplätze?

Befragter: Nein.

Pascal: Nein? In Deutschland oder in Holland?

Befragter: In Holland und Deutschland, ich weiß es nicht. Ich kenne die Dinge über die Geschichte nur aus dem History Channel, aus dem Discovery Channel und aus Wikipedia.

Pascal: Wie alt sind Sie? Sie sind zwischen 20 und 30?

Befragter: Ich bin 31 Jahre alt.

Pascal: Und Ihr Beruf?

Befragter: Ich arbeite bei einer Bank, der ING Bank.

Pascal: Ja, und Sie kommen aus?

Befragter: Holland.

Pascal: Holland - und die Stadt?

Befragter: Den Haag. The Hague.
Interview 2

Transkription

Interviewee: Na ich bin hier oft in Berlin, weil ich habe einen... Ein guter Freund von mir lebt hier, ein älterer Mann, und ich bin hier drei vier Mal pro Jahr. Und ich... Er ist auch sehr interessiert, er ist ein alter Hauptkomissar von der Polizei hier in Berlin. Und und er ist auch sehr interessiert in die Geschichte, und ja... ich bin oft hier, bei dem Bunker. Und mein Vater war hier im Krieg, er hat gearbeitet bei der Post, an Anhalter Bahnhof, hat auch einmal Goebbels gesehen dort, und er war hier bis zum Ende, er hat das alles mitgemacht, zum Beispiel, er hat auch die deutsche Soldaten gehängt gesehen, er hat alles mitgemacht, und dann in 45 ist er wieder nach Holland gelaufen mit einer ganzen Gruppe, waren alle Holländer. Und sie waren stationiert erst einige Mal hier in Berlin, und am Ende waren sie in Wannsee, in einem Lager, aber er hatte eine gute Zeit, er fand es war nicht schlecht.

Pascal: War nicht zu schlecht ok. Und in welchem Alter sind Sie?

Interviewee: Ich bin 66.

Pascal: 66! Da fängt das Leben an, sagt man! [Lachen] Und in welcher Branche haben Sie gearbeitet?

Interviewee: Ich war ja bei der Marine, und später dann bei der Bank.

Pascal: Marine wie Armee?

Interviewee: Kriegsmarine! Und dann später bin ich dann bei der Bank gekommen und da habe ich 33 Jahre gearbeitet.

Pascal: Ok und Sie kommen aus?

Interviewee: Honselersdijk. Ich bin geboren in Amsterdam aber jetzt wohne ich in Honselersdijk.
Interview 3

Transkription

Interviewee: Ich weiß, dass wir auf Hitlers Bunker sind, den er für sich selbst gebaut hat. … und war es schwierig, ihn zu finden?

Pascal: Ja, haben Sie ihn leicht gefunden?

Interviewee: Es geht, eigentlich ist es so, dass wir aus dem Nichts gekommen sind und nach einem Parkplatz gesucht haben und wir haben uns gesagt: "Da ist ein Parkplatz" und dann haben wir versucht, ein Schild zu finden, weil wir wussten, dass es nur ein Schild gibt, das auf den Bunker hinweist...

Pascal: Besuchen Sie auch andere Orte hier in der Gegend, oder sind Sie speziell hierher gekommen?

Interviewee: Bah wir hatten vor, in einer Reihe zu stehen, danach gingen wir zum Homosexuellen-Mahnmal und davor waren wir am Holocaust-Mahnmal.

Pascal: Okay! Kennen Sie andere verborgene Orte der Geschichte, Geisterorte oder so etwas in der Art?

Interviewee: Jetzt so gleich … ich weiß, dass ich welche gesehen habe, ich bin mir sicher, aber ...

Pascal: In Frankreich, in Deutschland?

Interviewee: Ja in Frankreich, nein in Deutschland nein... ah doch vielleicht in Rumänien, weil wir das gemacht haben und deshalb äh... Doch, in Bulgarien, jetzt erinnere ich mich daran, dass... Es ist nicht wirklich versteckt, es ist das Hauptquartier der Kommunistischen Partei, das auf einem großen Hügel mitten im Nirgendwo liegt und eigentlich kann man es nicht betreten, weil alles vernagelt ist und sie wollen anfangen, es zu restaurieren. Eigentlich ist es ein großer Saal, in dem sie sich versammeln, um Entscheidungen zu treffen, das ist wie eine Art großes Gericht.

Pascal: Sehr gut, okay. Und in welcher Altersgruppe sind Sie?

Interviewee: Ich bin 21 Jahre alt.

Pascal: Ok, und was machen Sie?

Interviewee: Ich habe einen Bachelor in Sozialwissenschaften gemacht.

Pascal: Und Sie kommen aus?

Interviewee: Paris.
Interview 4

Transkription

Pascal: Wissen Sie, wo Sie sich befinden?

Interviewee: Ja, wir sind am Hitlerbunker und wir sind eine Gruppe von vier Studenten und wir wollten uns dieses Schild ansehen. Und es ist wahr, dass wir dachten, - also ich persönlich dachte nicht, dass es nur ein Schild ist. Ich dachte trotzdem, dass es ein bisschen mehr ist, aber das war es dann.

Pascal: Und warum dachten Sie, dass... “Warum ist da nicht mehr”?

Interviewee: Ich weiß nicht, es stimmt, dass ich mir wirklich nicht vorstellen konnte, dass es nur das ist.

Pascal: Richtig, richtig.

Interviewee: Ich dachte, es wäre ein bisschen mehr, um es mal so zu sagen.

Pascal: Ja, okay, ein Denkmal...

Interviewee: Ja, das ist es.

Pascal: Etwas Gebautes, Überlegtes, eine echte Erinnerungspolitik. Und kennen Sie andere Orte? Oder denken Sie, dass es noch andere versteckte Orte des Dritten Reiches in Berlin gibt?

Interviewee: Ja, sicher, aber ich weiß es nicht. Ich kann keine Namen nennen, aber es gibt auf jeden Fall welche.

Pascal: Und wie sind Sie denn hergekommen?

Interviewee: Mit dem Flugzeug.

Pascal: Mit dem Flugzeug und dem Auto?

Interviewee: Nein, wirklich nur mit dem Flugzeug und sonst nehmen wir die öffentlichen Verkehrsmittel.

Pascal: Ja, die öffentlichen Verkehrsmittel, okay. Und Sie kennen keine anderen Orte, weder hier noch in Frankreich?

Interviewee: Nein nein.

Pascal: Und was studieren Sie? Wie alt sind Sie? Wo kommen Sie her?

Interviewee: Ich bin 21 Jahre alt und habe gerade meine “Licence de Droit” an der Universität Paris-Saclay abgeschlossen.

Pascal: Und Sie kommen aus…?

Interviewee: Auch aus der Nähe von Paris.
Interview 5

Transkription

Pascal: Agathe, Sie wissen, wo Sie sind?

Befragte 1: Ok, ja, wir wissen, wo wir sind, wir sind gekommen, um Hitlers Bunker zu sehen, weil in unserer Geschichte in den USA und in Großbritannien immer darüber gesprochen wurde. Am Ende einer Ära wird gezeigt, wie eine mächtige Person schließlich fällt; die Tragödie für alle; aber wir sind hauptsächlich hier, und es geht um die Unmenschlichkeit und es ist irgendwie gut zu sagen, dass die Macht ins Leere läuft und man nur noch auf einem Parkplatz steht, und sich an all das Leid und die Unmenschlichkeit zu erinnert, die der Glaube einer Person verursacht hat und wohin es sie gebracht hat. Für uns geht es also darum, zu sehen, dass es nicht mehr wichtig ist.

Befragte 2: Ja, das ist sehr gut gesagt.

Befragter 3: Ja und ähm. Für mich ist es ähm wichtig zu sehen, dass, wenn man eine kollektive Illusion hat, dass das nichts wird. Also für mich ist das der Grund, warum ich hier bin.

Pascal: Interessant, interessant. Und ähm ja ok, Sie kommen aus?

Befragter 4: Ich komme aus den USA, also habe ich gemischte Gefühle diesbezüglich. Ich denke, dass es historisch wichtig ist, weil es ein erstaunliches Ereignis in der Geschichte ist, aber gleichzeitig habe ich gemischte Gefühle, wenn ein Ort wie dieser bemerkenswert oder bekannt wird, weil ich nicht möchte, dass irgendjemand ihn verherrlicht oder aus irgendwelchen Gründen von ihm angezogen wird. Es ist also gut, dass es ihn gibt, aber vielleicht ist es auch gut, dass die Leute nicht wissen, dass es ihn gibt.

Pascal: Und in den USA ist er bekannt, dieser Ort?

Befragter 4: Bekannt, ja... Nicht jeder kennt ihn, aber eine Menge Leute...

Befragte 2: Wir wissen über den Bunker Bescheid.

Befragter 4: Sie meinen die Tatsache, dass es hier einen Ort gibt?

Pascal: Ja, den Ort, nicht den Bunker.

Befragter 4: Nein, niemand kennt den Ort.

Befragte 2: Wir haben gerade erst davon erfahren, weil wir all die anderen Orte hier besichtigt haben und uns aufgefallen ist, dass er nur die Straße runter ist und, wie Laureen sagte, ich bin froh, dass es ein Parkplatz ist und nicht... Ich habe nicht das Gefühl, dass es verherrlicht wird.

Pascal: Ja, es ist interessant, ja! Und kennst du noch andere geheime Orte in Berlin oder in den USA, oder in Großbritannien?

Befragte 2: Unterirdische Eisenbahnen?

Befragte 1: In den USA?

Befragter 3: Ich kann das nicht wirklich vergleichen.

Befragte 1: Nein. Es ist anders!

Pascal: Oh, interessant.

Befragter 4: Ich meine, ich kann ein anderes Thema ansprechen, aber es ist nicht vergleichbar, ich würde es nicht in demselben Gespräch erwähnen. Jemand anderes vielleicht.

Befragte 1: Ich denke, dass potentiell jede politische Führungspersönlichkeit Orte hat, wo sie bei einem atomaren Angriff, bei einem gefährlichen Angriff hingehen kann, also in gewisser Weise ist das hier für dieses Regime ein bisschen so, aber es ist nicht unbedingt, ich meine, es ist kein Versuch, geheime Regierungsorte zu haben, von denen aus man [unhörbar], denke ich, aber ich weiß es nicht.

Befragte 2: Ja, ich denke das nicht, so wie Churchills Bunker während des Krieges...

Befragte 1: Er war zum Planen da, jeder wusste davon, es war nur ein Büro, das immer geschützt war, und kein Wohnraum.

Befragte 2: Nein, als ich von der Untergrundbahn sprach, war das während der Sklaverei. Sie war unterirdisch und geheim und nur Abolitionisten, die den Sklaven halfen, konnten sie benutzen. Deshalb nannte man sie auch die Untergrundbahn... Aber das war, das war eine gute Sache, das war, um den Leuten zu helfen, der Sklaverei zu entkommen.

Befragte 1: Oh, aber es ist wichtig für die Geschichtsspuren, dass die Leute sagen, das war hier.

Pascal: Das war hier, ja!

Befragte 1: Obwohl ich... es ist ein bisschen wie bei anderen Leugnungen. Die Leute könnten sagen, es war nicht so... Also, es ist ein Gleichgewicht.

Pascal: Ok und Sie sind zusammen hergekommen?

Befragte 1: Ja.

Pascal: Und wie alt sind Sie?

Befragte: 1 50-60.

Pascal: Ok, und was machen Sie alle beruflich? In welcher Branche arbeiten Sie?

Befragte 1: Wir sind ein paar Finanzleute, ein paar Lehrer... Geschichtslehrer.

Pascal: Ok, danke schön!
Interview 6

Transkription

Pascal: Gut! Wissen Sie, was nicht weit von hier ist?

Interviewee: Das haben wir vorher besprochen, es sind die Bunker. An sich hätte ich es nicht gewusst, muss ich ehrlich sagen.

Pascal: Und kannten Sie diesen Ort vorher oder nein?

Interviewee: Ja, also allerdings mehr aus den sozialen Medien, da man dort Bilder usw. sehen kann, ich wusste das es sowas gibt, aber ich hätte es mir nicht in diesem Ausmaß vorgestellt. Also ich dachte es wäre kleiner, kompakter, und ich dachte, es wäre irgendwo, nicht so zentral in der Stadt, ich dachte es wäre abgelegener. Genauso wie das Brandenburger Tor, das dachten wir auch, das wäre auch irgendwie voll die lange Reise, irgendwo im nirgendwo, aber es war in der Tat sehr zentral.

Pascal: Zentral, gut! Kennen Sie andere geheime Orte wie den Bunker dort?

Interviewee: In Berlin jetzt tatsächlich nicht. Aber im Umkreis von Böblingen, Stuttgart, es wäre das Haus wo Adolf Hitler mal geredet hat und diverse Konferenzen abgehalten hat. Das befindet auf einem Flugfeld in Böblingen und ist momentan noch unausgeschildert.

Pascal: Oh interessant, also auch ein Geheimort vom Dritten Reich!

Interviewee: Genau!

Pascal: Gut, und sind Sie alleine gekommen?

Interviewee: Wir sind zu dritt, also wir arbeiten alle in einer Firma und sind wegen eines Seminars hier und dachten wir nutzen den Sonntag, um uns ein bisschen umzuschauen.

Pascal: Gut! Und in welchem Alter sind Sie ungefähr?

Interviewee: Wir sind alle zwischen 22 und 26.

Pascal: Gut! Und von wo kommen Sie?

Interviewee: Aus Stuttgart.

Pascal: Danke sehr!